BAG, Urteil vom 26.10.2016, 5 AZR 167/16
Wird durch eine In-vitro-Fertilisation willentlich und vorhersehbar eine Arbeitsunfähigkeit bedingende Erkrankung herbeigeführt, ist ein Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Verschuldens ausgeschlossen.
Der Fall:
Die ca. 42-jährige Arbeitnehmerin war seit 1994 als Erzieherin in einer Kindertagesstätte beschäftigt. Da ihr Partner nur eingeschränkt zeugungsfähig war und die Arbeitnehmerin einen Kinderwunsch hegte, unterzog sie sich im Jahr 2014 mit Kenntnis des Arbeitgebers einer In-vitro-Fertilisation. Für die Zeiträume vom 26.05.2014 bis zum 03.06.2014, vom 14.07.2014 bis zum 01.08.2014, vom 15.08.2014 bis zum 29.08.2014 und vom 21.11.2014 bis zum 08.12.2014 legte sie dem Arbeitgeber daraufhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Dieser leistete zunächst Entgeltfortzahlung.
Mit Schreiben vom 19.02.2015 änderte der Arbeitgeber jedoch seine Meinung und teilte der Arbeitnehmerin mit, dass er davon ausgehe, dass diese Fehlzeiten durch die Inseminationen verursacht worden waren und ihm daher ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von € 5.400,27 gegen die Arbeitnehmerin zustünde. Die Arbeitnehmerin bestritt dies, gab jedoch keine weitere Auskunft über die Ursache ihrer Fehlzeiten. Mit Schreiben vom 10.03.2015 übersandte der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin in der Folge Korrekturabrechnungen für die betreffenden Monate und behielt den seiner Meinung nach bestehenden Rückzahlungsanspruch vom Gehalt der Arbeitnehmerin ein. Die Arbeitnehmerin erhob daraufhin Zahlungsklage.
Die Entscheidung:
Das Arbeitsgericht hatte dem Zahlungsanspruch der Arbeitnehmerin zunächst überwiegend stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das LAG bestätigte diese Entscheidung. Das BAG hob letztere Entscheidung jedoch auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das LAG.
Das BAG führte hierzu aus, dass es derzeit über den Zahlungsanspruch der Arbeitnehmerin keine Entscheidung treffen könne, da das LAG bereits nicht festgestellt habe, in welchen Zeiträumen die Arbeitnehmerin tatsächlich arbeitsunfähig gewesen sei. Die Beweiskraft, der dem Beklagten vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, sei jedenfalls erschüttert, da bereits festgestellt worden sei, dass diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen überwiegend zum Schutz des ungeborenen Lebens und daher nicht wegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung ausgestellt worden seien.
Die Arbeitnehmerin könne auch nicht allein aufgrund der Unfruchtbarkeit ihres Partners als „krank“ angesehen werden, da die Empfängnisfähigkeit der Arbeitnehmerin selbst nicht eingeschränkt war. Erst die In-vitro-Fertilisation und der damit zusammenhängende Eingriff habe bei der Arbeitnehmerin möglicherweise zu einer Erkrankung geführt. Diese Eingriffe stellen zumindest hier jedoch keine Heilbehandlung dar, da die Arbeitnehmerin zuvor keinerlei körperliches Leiden aufwies. Zum Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit habe die Arbeitnehmerin noch nichts Genaueres vorgetragen.
Soweit die Arbeitnehmerin allerdings durch die nach anerkannten medizinischen Standards durchgeführte In-vitro-Fertilisation aufgrund eines vorher bekannten Risikos arbeitsunfähig gewesen sei, sei ihr Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz EFZG wegen eigenen Verschuldens ausgeschlossen. Nur wenn die Arbeitnehmerin insoweit darlegen könne, dass sich im Rahmen der In-vitro-Fertilisation ein Risiko verwirklicht habe, mit deren Eintritt sie vorher nicht habe rechnen können, könne man der Arbeitnehmerin kein Verschulden vorwerfen. Dies müsste allerdings das LAG noch aufklären.