Das Wichtigste in Kürze:
- Verpflichtung zur rechtzeitigen Zielvorgabe: Arbeitgeber müssen ihren Mitarbeitern zu Beginn des Geschäftsjahres klare Zielvorgaben für variable Vergütungen machen, um die Anreizfunktion zu gewährleisten.
- Folgen verspäteter Zielvorgaben: Erfolgt die Zielvorgabe erst nach Ablauf von drei Vierteln des Geschäftsjahres, gilt sie als unterlassen. In solchen Fällen kann der Arbeitnehmer Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der vollen variablen Vergütung haben.
- Rechtsprechung des LAG Köln: Das Landesarbeitsgericht Köln entschied am 6. Februar 2024, dass eine verspätete Zielvorgabe die Anreizfunktion verliert und der Arbeitnehmer so zu stellen ist, als hätte er seine Ziele vollständig erreicht.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in einer Entscheidung vom 19.02.2025 zur Frage des Schadensersatzanspruchs eines Arbeitnehmers geäußert, der von seinem Arbeitgeber keine Zielvorgaben erhalten hatte.
Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Position mit Führungsverantwortung mit arbeitsvertraglichem Anspruch auf eine variable Vergütung. Eine hierzu existierende Betriebsvereinbarung bestimmte, dass die jährliche Zielvorgabe durch den Arbeitgeber bis zum 1. März des Kalenderjahres zu erfolgen habe. Die Zielvorgabe sollte dabei zu 70 % aus Unternehmenszielen und zu 30 % aus individuellen Zielen bestehen. Je nach dem Grad der Zielerreichung sollte sich daraus die Höhe der variablen Vergütung ergeben.
Erst im September 2019 hatte der Arbeitgeber allen Mitarbeitern mit Führungsverantwortung mitgeteilt, dass ihr individueller Zielerreichungsgrad entsprechend der durchschnittlichen Zielerreichung aller Führungskräfte in den vergangenen drei Jahren bei 142 % liege. Im Oktober 2019 erhielt der Kläger genauere Zahlen zu den Unternehmenszielen inklusive deren Gewichtung und des Zielkorridors. Allerdings unterblieb eine Vorgabe individueller Ziele für den Kläger.
Für das Jahr 2019 erhielt der Kläger von der Beklagten eine variable Vergütung in Höhe von € 15.586,55 brutto.
Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm die Beklagte zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil sie für das Jahr 2019 die Unternehmensziele erst verspätet und die individuellen Ziele überhaupt nicht vorgegeben habe. Er dürfe davon auszugehen, dass er, sofern er die Ziele rechtzeitig mitgeteilt erhalten hätte, die Unternehmensziele zu 100 % und seine individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert zu 142 % erreicht hätte. Dies führe nach seiner Meinung zu einem Anspruch auf Zahlung weiterer € 16.035,94 brutto als Schadensersatz.
Die Beklagte meint, sie habe die Zielvorgabe rechtzeitig vorgenommen und habe den Grundsätzen der Billigkeit entsprochen, so dass dem Kläger ein Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgabe nicht zustehe. Zudem könne der Kläger höchstens eine Leistungsbestimmung durch gerichtliches Urteil gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz BGB verlangen.
Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hatte, hatte das Landesarbeitsgericht der Berufung des Klägers stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg. Es wurde entschieden, dass der Kläger gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 Satz 1 BGB einen Schadensersatzanspruch in Höhe von € 16.035,94 brutto habe. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung zu einer nach den Regelungen der Betriebsvereinbarung zu erfolgenden Zielvorgabe für das Jahr 2019 schuldhaft nicht nachgekommen, da sie dem Kläger gar keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst dann rechtsverbindlich mitgeteilt habe, als bereits etwa drei Viertel der Zielperiode abgelaufen gewesen sei. Die Zielvorgabe sei daher ihrer Motivations- und Anreizfunktion nicht gerecht geworden. Das Bundesarbeitsgericht hat unterstellt, dass der Kläger bei einer billigem Ermessen entsprechenden Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100 % und seine individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert zu 142 % erreicht hätte.
Fazit zum Schadensersatzanspruch bei unterlassener Zielvorgabe
Wenn ein Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung verstößt, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode seine Ziele bekanntzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist, führt dies, sofern eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann, zu einem Anspruch des Arbeitnehmers auf.
Quelle:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.02.2025, Az. 10 AZR 57/24