Urlaubsanspruch bei Langzeiterkrankung – Urteil 31.01.2023

„Die bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG bei Langzeiterkrankungen geltende 15-monatige Verfallfrist kann ausnahmsweise unabhängig von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten beginnen, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers so früh im Urlaubsjahr eintritt, dass es dem Arbeitgeber tatsächlich nicht möglich war, zuvor seinen Obliegenheiten nachzukommen.“

Urteil des BAG vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 85/22

Sachverhalt

Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der von 1992 bis 2021 bei der Beklagten angestellt war. Aufgrund einer Erkrankung war er von 2010 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend arbeitsunfähig. Er verlangte vom Arbeitgeber die Abgeltung von insgesamt 60 Urlaubstagen aus den Jahren 2016 und 2017 und begründete dies damit, dass der Arbeitgeber nicht seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit nachgekommen sei. Diese bestünden auch bei lang andauernder Erkrankung und seien bei richtlinienkonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG Voraussetzung dafür, dass Urlaubsansprüche bei länger andauernder Erkrankung 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlöschen.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Beendigung des Urlaubsjahres unabhängig von der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers verfällt, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig erkrankt ist. Kausal für den Verfall sei hierfür die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers und nicht die fehlende Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers. Die Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung sei rechtlich unmöglich.

Demgegenüber muss der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten unverzüglich – in der Regel innerhalb von sechs Werktagen – nachkommen, wenn der Arbeitnehmer bei Entstehung des Urlaubsanspruchs früh im Urlaubsjahr vor seiner langandauernden Erkrankung tatsächlich kurzzeitig gearbeitet hat. Versäumt der Arbeitgeber dies, erlischt der Urlaub auch nicht nach Ablauf des ansonsten maximalen Übertragungszeitraums von 15 Monaten. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer später durchgehend erkrankt ist.

Aufgrund der am 18.01.2016 eingetretenen und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses andauernden Erkrankung lagen zwischen Montag, 04.01.2016, und Freitag, 15.01.2016, zehn Arbeitstage, in denen der Urlaubsanspruch hätte erfüllt werden können.

Dr. Dietmar Olsen. Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kanzlei Dr. Olsen

Dr. Dietmar Olsen
Fachanwalt Für Arbeitsrecht

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